„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“
Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Artikel 1(1) des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland
Bemerkung zu der Studie „Vaterlos und ausgegrenzt? Eine Langzeitperspektive auf die deutschen Besatzungskinder des II. Weltkrieges“ von Heide Glaesmer und Marie Kaiser, Universität Leipzig von 2015
2.4. Studie mit universitärem Gedankengut – an der Realität vorbei
2.5. Die Diagnose psychischer Leiden an der Leipziger Universität
4. Die betroffenen Besatzungskinder
Das Thema ist dringlich, da Russenkinder uns immer wieder angesprochen haben, uns nicht in die psychisch kranke Ecke stellen zu lassen. Und unser Eindruck ist, dass wir da auch nicht hingehören. Deshalb dieser Text.
Wer Menschen in eine psychisch kranke Ecke stellt, nimmt ihnen die Würde. Wir haben mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass durch die unten beschriebene Studie auf unreeller Grundlage dieser Eindruck erweckt wird. Weder die Rektorin der Leipziger Universität Prof. Schücking, noch die Macher der Studie Glaesmer und Kaiser haben darauf reagiert. Im Gegenteil, sie verbreiten weiter die „Ergebnisse“ dieser Studie.
( Aufgrund der eingetretenen Entwicklung konnten wir an dieser Stelle nicht mehr benötigten Text einsparen.
Wir danken den Beteiligten! )
Wir nahmen schon öfter auf diese Studie Bezug. Nunmehr möchten wir unsere Kritik einmal zusammenfassen.
146 Teilnehmer, davon 123 = 84 % zwischen 1945 und 1955 geboren.
Die Studie besteht ausschließlich aus der Auswertung eines Fragebogens.
Eine erste Auswertung wurde später den Studienteilnehmern 2014 zugeschickt.
Es gab 2014 ein erstes Treffen von Russenkindern, welches sich zu regelmäßigen Treffen entwickeln sollte.
Das nächste Treffen wurde nach Auswertung der Fragebögen im März 2015 organisiert.
Festgestellt wurde anhand des ermittelten Zahlenmaterials, dass Besatzungskinder mit mehr, teilweise erheblich mehr psychischen Krankheiten belastet seien.
Bei dieser ersten Vorstellung hatte ich Zweifel an den Ergebnissen angemeldet.
Glaesmer, die Studienleiterin, geht von 200 000 Besatzungskindern aus. Das entspricht einer Relation von 0,07 % der angenommenen Besatzungskinder. Also noch nicht einmal einem Zehntel eines Prozentpunktes.
Die Auswahl erfolgte willkürlich, nicht repräsentativ. Statistisch gesehen bildet das keine Grundlage für eine gesicherte Aussage.
Im Jahr 2014 wurden den Teilnehmern eine erste undatierte Auswertung der Studie übermittelt.
Unter „Heutige psychische und körperliche Beschwerden“ kann man lesen:
„Als wir unsere Studie vorbereiteten, hatten wir lange Diskussionen darüber, ob und welche psychischen Beschwerden wir erfassen sollen. In Ergänzung zu den ungünstigen Kindheitsbedingungen wurden weitere traumatische Erfahrungen, Posttraumatische Belastungsstörungen, depressive Beschwerden und Körperbeschwerden zum jetzigen Zeitpunkt erfragt. Diese Angaben wurden jeweils wieder mit bevölkerungsrepäsentativen Daten verglichen. Auch hier zeigt sich eine deutlich stärkere Belastung der Besatzungskinder.“
Nun folgen die Angaben:
Posttraumatische Belastungsstörungen
Personen gleichen Alters der Allgemeinbevölkerung 1,4 %
Besatzungskinder 11,6 %
Depressive Störungen
Personen gleichen Alters der Allgemeinbevölkerung 4,2 %
Besatzungskinder 20,4 %
In der fertigen Studie von 2015 gab es folgende Angaben:
„2. Aktuelle psychische Belastungen und traumatische Erfahrungen
(erste Angabe Besatzungskinder, zweite Angabe Allgemeinbevölkerung)
PTSD ( 11,6% vs. 1,4%)
Depressionen ( 10,0% vs. 1,7%)
Somatoforme Störungen ( 7,4% vs. 4,0%) ...“
Dabei fällt natürlich auf, dass die Angaben zu Depressionen wesentlich voneinander abweichen. Weshalb?
Besonders verblüffend ist die Abweichung der Angaben zur altersgemäßen Allgemeinbevölkerung. Als ich diese Angabe bei der Vorstellung der Ergebnisse 2015 hörte und sah, stellte ich diese 1,7 % sofort in Frage. Antwort Glaesmer sinngemäß - diese Zahl mußte ganz besonders bearbeitet werden, randomisiert etc. Worauf sie sofort andere Folien auflegte und im Vortrag fortfuhr.
Ich habe mehrere Jahre in Forschungsinstituten u.a. statistische Auswertungen vorgenommen. Da wurden Meßwerte erfaßt und mit allgemeingültigen Angaben verglichen, also eine zuverlässige Quelle gesucht und angegeben und deren Zahlen gegenübergestellt. Hier in diesem Falle werden die Vergleichszahlen ohne Angaben von Quellen in den Raum gestellt.
Die Psychologische Fakultät der gleichen Universität gibt an:
Für die Altersgruppe 65-69-jährige Männer bei Depressionen mit 20,3 % und Frauen mit 8,5 % an, also wesentlich andere Angaben.
Die oben getroffene Aussage, dass Besatzungskinder eine wesentlich höhere Anfälligkeit zu psychischen Krankheiten haben, konnte nicht nachgewiesen werden, ist also falsch.
Es werden eine Reihe von Aussagen getroffen, die mit höherer Häufigkeit begründet werden, ohne jedoch einen Beweis anzugeben. Keine Zahlenangaben, keine Gegenüberstellungen, keine Quelle, nichts.
Beispiele:
a)
„Besatzungskinder waren häufig schwierigen Aufwachsbedingungen ausgesetzt (Vernachlässigung, Bezugspersonenwechsel, Stigmatisierung und Diskriminierung)“
Zu Bezugspersonenwechsel zeigt das folgende Beispiel, dass es absolut keinen Zusammenhang mit dem Besatzungskinderdasein hat:
https://www.russenkinder.de/index.php/gedankensplitter#Umzuege_und_Bezugspersonenwechsel
b)
Zur Feststellung auf „Besatzungskinder sind auch Jahrzehnte später, im fortgeschrittenen Erwachsenenalter, oft psychisch belastet“ noch ein persönliches Beispiel, welches ebenfalls nichts mit meinem Besatzungskinderdasein zu tun hat. Eine Rubrizierung darunter ist unsinnig und tendenziös:
Ein persönliches Beispiel für die Fragwürdigkeit dieser Aussage:
„Weder in meiner Kindheit noch später habe ich irgendeine Diskriminierung, Zurücksetzung oder sonst eine Benachteiligung durch mein Besatzungskinderdasein erfahren. Im Gegenteil, ich wurde dadurch vielleicht sogar gefördert.
Ich wurde Ende 1976 geschieden, mußte meine beiden Kinder der Geschiedenen überlassen. Ich bekam Herzschmerzen. Meine Hausärztin stellte keinerlei organische Ursachen fest und schickte mich zu einer prophylaktischen Kur. Die DDR hatte solche Kuren eingerichtet für Fälle wie meinen. Das bedeutete drei Wochen Abschalten, etwas Sport, Gruppengespräche, Bewegungen in der Natur, ein kleines kulturelles Programm. Die Gruppengespräche zeigten mir, wie ich damit umgehen kann. Es gab Menschen mit anderen psychischen Problemen, die unter schwierigen Umständen zurecht kommen mußten. Ich änderte meine Haltung zu meinem Problem, meine Lebensfreude kehrte zurück, die Herzschmerzen verschwanden.“
c)
„Deutsche Bessatzungskinder fühlen sich weniger wohl mit Nähe und haben weniger Vertrauen in die Zuverlässigkeit anderer.“
Nachweis? Keiner. Wie auch.
2.4. Studie mit universitärem Gedankengut – an der Realität vorbei
Wenn man berücksichtigt, dass 87 % der Studienteilnehmer bis 1955 geboren sind, muß man natürlich die gesellschaftlichen Umstände der damaligen Zeit und die unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungen berücksichtigen. Wie schon am Beispiel des Wechsels der Bezugspersonen und der Wohnorte beschrieben.
In Westdeutschland, später der Bundesrepublik, gab es lange Zeit die Tendenz, den Aggressionskrieg, den die Deutschen entfacht und verloren hatten, nachträglich zu verklären. Ebenso hinterließ der Kalte Krieg in den Köpfen der Menschen seine Spuren. In der Besatzungskinderszene ist das heute noch zu erleben. Wer sich für die Interessen der Russenkinder einsetzt, wird ausgegrenzt. Selbst die Universität Leipzig mit seinen Studiendurchführenden H. Glaesmer und M. Kaiser beteiligen sich daran.
Es fehlt schlicht an Objektivität.
In Ostdeutschland/DDR gab es eine Annäherung an die Sowjetunion. Die gesellschaftlichen und atmosphärischen Bedingungen waren völlig anders als im Westen.
Da nur 23 % der Besatzungskinder von sowjetischen Armeeangehörigen stammen, von denen ein Teil in den Westen gegangen war oder in Westberlin aufwuchs, ist die Studie westlastig.
Da das in der Leipziger Studie nicht berücksichtigt wurde, ist sie ahistorisch, undifferenziert und an den Lebensbedingungen vorbei erarbeitet worden.
2.5. Die Diagnose psychischer Leiden an der Leipziger Universität
Wir hatten uns die Mühe gemacht, einmal im Netz zu der Frage, wie man psychische Krankheiten diagnostiziert, zu suchen. Wir wissen das ja aus Erfahrung - ein gewissenhafter Mediziner stellt keine Diagnose, ohne den Patienten zu sehen und zu sprechen. Bei den gefundenen Stellen, die von Psychologen geschrieben wurden, steht an erster Stelle das persönliche vertrauensvolle Gespräch. Danach die Ausschließung organischer Probleme. Überall wurde als hilfreich die Anwendung von Fragebögen gesehen.
Die Leipziger Universität verwendet ausschließlich Fragebögen und stellt Diagnosen. Die Bemerkung sei erlaubt, Glaesmer ist ja immerhin Dozentin. Das ist unsolides Vorgehen.
Aus der Studie von Glaesmer und Kaiser lassen sich in Bezug auf die Statistik keinerlei verwertbare Schlußfolgerungen ziehen. Die Datenbasis ist nicht aussagefähig, um Schlüsse ziehen zu können,Verfälschungen von eigentlich feststehenden Angaben sind zudem nicht ehrhaft. Ob sie aus Unkenntnis oder mutwillig erfolgten, sei einmal dahingestellt.
Wir haben von Anfang an auf diese Unstimmigkeiten hingewiesen. Weder Glaesmer und Kaiser, noch die Rektorin der Leipziger Universität haben eine Erklärung dafür gegeben.
Diese Studie ist unsolide. Die erarbeiteten Angaben halten keiner ordentlichen Prüfung stand, die statistischen Angaben, die zum Resultat der verstärkten psychischen Belastungen führen sollen, werden nicht belegt.
Die Rektorin der Leipziger Universität Prof. Dr. Beate Schücking meinte in ihrer Antwort auf mein Schreiben 2015: „Frau Dr. Glaesmer versicherte mir, dass die Studie wissenschaftlich absolut korrekt durchgeführt worden ist und mittlerweile darüber auch einige Publikationen, u. a. in einem international anerkannten Peer-Review-Journal, entstanden sind.“
Deutsche Universitäten warnen ihre Mitarbeiter, in solchen Peer-Review-Journalen zu veröffentlichen, da keine ordentliche wissenschaftliche Begutachtung erfolgt und somit die Studien in ein pseudowissenschaftliches Umfeld geraten und den Ruf der Erarbeiter und ihrer Universitäten ruinieren.
Hier ist diese Studie nicht in ein pseudowissenschaftliches Umfeld geraten, hier stellt diese Studie dieses Umfeld selbst dar. Qed!
Abschließend noch eine Bemerkung dazu, geschrieben vom Philosophen Friedrich Nietzsche „Moral der Gelehrten“.
An der Universität in Birmingham gibt es ein Forschungsprogramm „Children Born Of War“ mit der Webseite der Supervisors: „https://www.chibow.org/supervisors“
Mit dabei natürlich die Studienleiterin Heide Glaesmer und Marie Kaiser.
Glaesmer trat und tritt mit sie assistierenden Besatzungskindern bei verschiedenen Veranstaltungen auf und stellt in den Medien ihre Studie vor. Bei der Auswahl der beteiligten Russenkinder mußte sie natürlich darauf achten, dass ihr Ergebnis der Studie, höhere psychische Schäden bei Besatzungskindern gegenüber der Normalbevölkerung, auch offensichtlich vorgeführt wird.
4. Die betroffenen Besatzungskinder
Besatzungskindern eine höhere psychische Erkrankung vorzuwerfen bedeutet, wenn man es nicht nachweisen kann, sie in ihrer Würde zu verletzen. Eine unethische Haltung der beteiligten Wissenschaftler.
Deutsche Besatzungskinder haben ihr Leben in den beiden deutschen Staaten gelebt, zu ihrer Entwicklung beigetragen und nunmehr seit fast 30 Jahren zum geeinten Deutschland. Diese unfundierte Behauptung, wir seien psychisch mehr krank als die Normalbevölkerung, ist eine Beleidigung. Sie wertet unser Leben ab.
Wer schützt unsere Würde?
Wir führen diese Auseinandersetzungen nunmehr schon vier Jahre. Wir haben Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Parteien, Bundestagsabgeordnete, Wissenschaftler, den Bundespräsidenten und weitere angesprochen. Für uns gibt es keine Hilfe.
Wenn wir es also selbst nicht tun, gibt es niemanden für den Schutz unserer Würde. Deshalb werden wir nicht ruhen, dieser Mystifizierung und den Falschdarstellungen entgegenzutreten.
Anatoly Rothe
Berlin, den 29. 12. 2018 / 14. 1. 2019